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In eigenen Raptexten mit der Gesellschaft kontexten – Wie Rap ohne Instrumente Hürden abbaut.

An einem grauen Novemberabend wischen wir uns mal wieder durch unsere Instagram- und Facebook-Feeds und lassen uns von den Inhalten in den sozialen Medien die Laune verderben. Seufzend gleiten wir in den Sessel ohne jedoch von unserem Handy abzulassen.

Wir sind müde und matt und streifen in den Feed des „einzig und alleinigen“ Ludwigshafener Kulturkalenders vom WOW-Magazin (sorry Andy für die grammatikalischen Fehler). Es dauert auch nicht lange bis wir aus den Augenwinkeln heraus das Wort „UNPLUGGED“ erspähen und stoppen. WOW, das kennen wir doch irgendwoher aus unserer Jugend, damals.

(MTV) UNPLUGGED, die Sendereihe der früher einzigartigen MTV Europe-Kreativschmiede (für die Generation JETZT: das war ein Fernsehsender), die uns ausschließlich mit Musikvideos dieses Genre der Kunstform erst zugänglich gemacht hat und mit seinem „hot und top“ die abgefahrendste Musik ins jugendliche Kinderzimmer brachte und unsere Eltern zum Wahnsinn treiben konnte.

Aufgeregt rennen wir in den Keller (wo wir sonst nur zum Lachen hinunter gehen), holen unsere UNPLUGGED CDs von Billy Idol, den Sportfreunden Stiller, Nirvana, den Ärzten oder von De la Soul hoch in das gemütliche Wohnzimmer, stellen die angehimmelte MTV-Tasse vor den CD-Spieler, pressen die silbernen Scheiben in das gierige Maul des Gerätes und schwelgen einen Abend entspannt in Erinnerungen.

WOW, wo waren wir doch gerade stehen geblieben?

Ein „Lyricism Unplugged“ wird hier angekündigt, in Ludwigshafen, an einem Sonntagabend im Dezember, in einem Hinterhof im doch so berüchtigten Hemshof.

What The F….

hören wir uns noch leise fluchen.

„Aha, Rap in der „Vocals only“-Version im düsteren Hehhhmmmmmmshof, gleich hinter der Rathauscenter-Ruine und der stinkenden Biotonne am Straßenrand der Prinzregentenstraße.

Da sind wir doch aber dabei. Als Mitglieder der „Fast-Boomer“-Spießergeneration (also nicht das „schnelle englische „Fast“ sondern das „Wir sind altersbedingt noch keine-Boomer und Boomerinnen“) kaufen wir unsere Karten selbstverständlich beim Online-„Kartendealer“ , solange unser Reallife-Verkäufer noch in U-Haft sitzt. (Grüße gehen raus in die JVA nach Frankenthal, Viva la Dealer)

Angst wollen wir vorbeischieben, an diesem besagten Abend im Dezember. Unsere persönliche Unterstützung werden wir trotzdem dabei haben. Ein Hoch auf unsere Polizeieieieieieiiiiiiii.


Wir schreiben den 15.12.2024. Seit ein paar Tagen freuen wir uns auf die „Lyricism Unplugged“, welche die Inhalte und künstlerische Verarbeitung der Texte aus Rap und Hiphop-Titeln (Beats) lokaler Rapper und Hiphopper in einer Lesung näher bringen werden.

Auf Instrumente wird dabei überwiegend verzichtet, genauso auf die üblichen Plattenteller für waghalsige Scratching-Moves.

Was auf den ersten Blick ungewöhnlich klingt, lenkt so den Fokus auf die Inhalte der Texte und vermeidet gleichzeitig ein Ablenken auf die Sounds der Drums, Hi-Hats und Bässe.

Ein wenig skeptisch sind wir aber doch, als wir an dem kalten Sonntagabend unseren Weg in das Cinema Paradiso & Arte in den Hemshof antreten. Wir kennen den Ort, das alte Kino, die ehemalige Kirche im Hinterhof einer Häuserzeile aus der Gründerzeit. (ehrlicherweise müssen wir zugeben, dass 50% unserer Begleiter das Cinema Paradiso & Arte bisher nicht kannten).

Die Straßen sind ruhig. Nur ein paar Menschen streifen über den Goerdelerplatz und finden ihr Ziel in der kleinen Eck-, Kult- und Ur-Ludwigshafener Gaststätte Maffenbeier.

Auch wir suchen erst einmal den Weg dorthin. Kurz schweift der Blick nach oben, an die Backsteinwand an der in der Dunkelheit das MURAL von Lula Goce hervorlugt, bevor wir ins Maffenbeier fallen, dort standesgemäß rustikal begrüßt (so sind wir Ludwigshafenereben) werden und uns im geheizten Biergartenzelt für eine halbe Stunde die Kehle erst einmal runterkühlen dürfen.


Die Zeit verfliegt. Nachdem wir „unseren Deckel“ bezahlt haben, stolpern wir keine 317,24 Meter entfernt in eine Toreinfahrt in der Hemshofstraße, die in Kunst- und Kulturkreisen nur „Das magische Tor in eine andere Welt“ genannt wird.

Hier ist es dunkel. Der Innenhof, der im Sommer durch seine leicht kitschige Gestaltung, mit den Büschen, Bänken und dem vielen „Klimbim“ eine Oase im Hemshof ist, wirkt heute düster und von magischen Geistern bewohnt.

Noch scheinen wir die einzigen Gäste zu sein, die vorsichtig vor der Tür stoppen und auf Einlass warten.

Es bleibt Zeit für eine Zigarettenpause. Wir wissen, dass es über 60 Gründe gibt, mit dem Rauchen aufzuhören. Ja man spart Geld, schont die Gesundheit und die Mitmenschen, belastet die Krankenkassen weniger und…bevor wir den Satz beenden können, ist das Lungenstäbchen nahezu vollständig inhaliert. Wie? Was? Egal.

Wir vernehmen Stimmen die vorsichtig „Hallo“ sagen. Sind es die Geister oder nur weitere Gäste, die erstmalig ihren Weg hierher finden. Puh, es sind keine düsteren Gestalten oder vielleicht doch, so halb, so wie wir es auch sind, die Besucher einer Rapperlesung im Hemshof.

Gemeinsam nehmen wir unseren Mut zusammen, klopfen an das Portal, das sich öffnet und uns mit einem „Hallo und Willkommen bei Lyricsm Unplugged“ Einlass gewährt.
Wir sind jetzt hier, in den Welten des Cinema Paradiso & Arte und der „Lyricism Unplugged“.

Einige Gäste scheinen wirklich zum ersten Mal hier sein. Gemeinsam mit Ihnen schreiten wir durch den heimeligen Flur, mit den antiken Möbeln, der umfassenden Dekoration und treten in den alten Kinosaal, der majestetisch die alte Hochkultur des Filmkunst bewahrt hat. Die helle Wände und grüne Säulen, die das Dach zu tragen scheinen fallen auf.

Wir blicken hinüber zur Bühne. Links und rechts stehen riesige Weihnachtsbäume (wie die wohl hier reingekommen sind). Dazwischen hängt eine Diskokugel, welche die Szene ein wenig skurril wirken lässt.

Antike Sofas, historische Stühle und Sessel gruppieren sich um große Tische, die sich durch den gesamten Saal ziehen.

Die beruhigende Beleuchtung, Kerzenschein, leise beruhigende Gespräche lassen diesen Raum jedoch nicht als Saal wirken, sondern eher als großes Wohnzimmer von guten Freunden.

Nie würden wir hier in dieser liebevoll gestalteten LUcation, die teilweise ja sehr grenzwertigen Texte der Raps erwarten, die sich doch eher vor dem Tore auf der Straße finden lassen würden.

„Aber nein.“

Das Publikum ist gemischt. Wir erkennen ein paar Gesichter wieder. Klar die Truppe der Music Gourmétz, die wir auch von monatlichen Harfenklängen kennen, das Gastgeberpaar (wir wissen die genaue Konstellation nicht), Musiker anderer Musikrichtungen, Gäste aus Wirtschaft und uns, dem Teil vielen unbekannten Gesichtern, den jungen Menschen, den „Fast-Boomern und Boomerinnen“ und den Personen, die wie auch wir auch immer den Weg hierher gefunden haben.

Wir schreiten durch die einzelnen Gruppen, man grüßt sich gegenseitig. Auf dem Boden sehen wir Muster, die interessant wirken und wir uns fragen, wie diese Anordnung der Motive zustande kam, ob sie eine Geschichte erzählen, die zwischen Teppichen, Dielenboden, Natursteinböden und mystischen Kreisen entstanden ist. Immer wieder sind wir fasziniert. Überall sind Kerzen verteilt, welche die Stimmung, die Wärme an diesem dritten Advent heben.

Es riecht nach Wein.


Aus dem Augenwinkel entdecken wir noch die Empore. Diese werden wir aber später erkunden. Schön, denn hier ist es wirklich wie in einem alten Kino aus unserer Kindheit.


Wir hören das leichte Klappern der Heizlüfter, die an der Außenwand hängend einen leichten warmen Luftstrom durch den Saal schieben. Frieren werden wir heute definitiv nicht.

Suchen wir uns einen Platz, vielleicht am Rand oder doch eher mittig? Bleiben wir hier, im Zentrum eines Lichtkreises, der durch den Raum führt. Bequem sind sie ja schon, die Stühle und wir fragen uns, ob die Sessel und Sofas vielleicht doch geeigneter wären.

Nee, einschlafen wollen wir ja nicht. Gemütlicher Sonntagabend, es ist warm, es gibt etwas zu essen und es wird vorgelesen. Und so bleiben wir am Tisch sitzen, verschieben den Sandmann nach hinten und lassen uns, mit einem Glas Wein getränketechnisch eingedeckt, auf das heutige Experiment ein.

Ach, ein wenig grinsen müssen wir schon, als sich Brigitte Melder, die Karla Kulumna des Wochenblatts neben uns gesellt. Wir verstehen uns, da sich unsere Wege mittlerweile öfter kreuzen. Für uns ist sie eh die BewegungsMELDERin in der Vorderpfalz. Und so tauschen wir uns ein wenig aus und warten auf das herunterfallende Popcorn, welches wir von den auf der Empore sitzenden Kindern erwarten.

Die Bühne, von der Andymic, einer der Veranstalter und Vortragenden seine Gäste begrüßt, liegt 2 Stufen oberhalb des Saales. Ein antiker Sessel, dient als Sitzmöbel. Wie gegensätzlich doch der Abend wird.

Pssssst Ruhe. Es geht los.

Wir müssen jetzt auch leiser schreiben.

Die Geschichte, wenn wir den Beitrag so nennen wollen, startet mit einem kurzen Ausschitt aus der Historie des Raps, einer Erläuterung der Entwicklung aus der Welt der „Unterpreviligierten in Amerika“ hin bis in die Gegenwart, dem Rap-Kulturerbe in Heidelberg (das ist die Stadt mit einer Rathaus-‚ähmmm nee Schlossruine).
Geschickt wird dieses mit der Kultur des Breakdances über Verknüpfungen mit kurzen Zitaten aus Beiträgen des Deutschlandfunks (der nicht als die Wiege des Raps gilt) verwoben.

Wir schauen uns um.

Im Publikum wird interessiert gelauscht.
Man spürt, dass einigen Gästen die Erinnerungen aus der eigenen (sogenannten) unterpreviligierten Historie heraufbefördert werden, während Andere hier heute eine „Schulung der Realität“ erleben.

Wow.

Gegensätze wie wir sie mehr brauchen, hier in einem Raum ohne gesellschaftliche Gegensätze, ohne Blasenbildung, sozialer (Diss)tanzierung. Vielleicht ist genau dieser Ort auch der Richtige, um Gegensätze aufzubrechen, darzustellen, zu kritisieren und diese miteinander zu versöhnen.

Andymic erklärt, wie es ist, seine eigenen Erlebnisse niederzuschreiben, als ein Teil der regionalen Rapszene miteinander Musik zu machen, statt nur zu Konsumieren.

Trap, Battlerap, Fucking Rap, (fuck, und jetzt waren sie doch da, die Worte die in dieser Umgebung doch anders klingen). Die Lesung beruhigt, so dass (solange ein paar Worte verklausuliert werden würden) dieser Abend auch kleine Kinder in den Schlaf lesen könnte. Echt Nice.

Und so erfahren wir mehr aus den Gefühlswelten, die Ursache von der Entstehung von Texten, wie diese aufgebaut sind. Es ist das Raptexten gegen Vorstrafenregister, das Erklären von Posse und Cifer.

Und mit jedem Vorlesenden (jeder Rapper), der seine Geschichte, seine Gründe für die Entstehung seiner Texte kurz erklärt, steigen wir als Gäste tiefer ein in das Verstehen für die Form der Rapkultur.

Beschreiben kann man diesen Abend nur schwer, denn man muss ihn erlebt haben.
Hier führt einfach kein Weg vorbei.

Wenn wir ihn beschreiben müssten, dann wäre er zusammengefasst:

Rap Stammtisch, Battlerap, Mutter am Rennen, „Stehen zwischen dem Publikum und dem Essen“, Kritik an der Gesellschaft, Mama Erde, wir sind ein Parasit, Fuck Up Rap, Gedichte, Lyrics, #Backpack,
Obdachlos in Mannheim, Straßenbahn, Reimketten, der Funke schürt den Brand, stinkt wie Lagerfeuer

Die Zeit verfliegt. Wir legen eine Pause ein, in der wir uns stärken können. Hitze und Durst haben den Inhalt des Weinglases verdunsten lassen. Zeit zum Auffüllen lassen.

Wir dürfen uns ein Stück Lasagne vom Buffet nehmen.

Wieder verspüren wir die Liebe der Gastgeber zum Detail, beim Präsentieren der Getränke und des Essens, dem Genuss zwischen Klinkerfassade, Holzdecke, Glasvitrinen und Oma Ernas Sammeltassen.

Hier lässt sich wunderbar essen. Lecker ist es auch. Am Klavier werden wir zusätzlich unterhalten. Kurz bestellen wir einen Cappuccino und werden auf die Empore geführt. Über eine enge Treppe erreichen wir die obere Ebene. Von hier schauen wir auf die Szenerie im Saal. Hier ist es noch ein wenig gemütlicher. Wären wir zu zweit hier und wäre der Bedarf nach ein wenig Romantik vorhanden, würden wir hier bleiben.

Aber „Pssst.“ Es geht weiter.


komplex nix einfach, Geschichte vom Fuchs, Katsching, Blätter fliegen zur Seite auf den Boden, Tomate Gurke, Freiheit hinter der Mauer, Blut, Wunden, indianische Lieder statt Sandmann, tropfendes Rot auf die Fahnen, Kehlkopfkrebs, 9 Jahre Bautzen, Mary, YamYam, Zwangsheirat, Nachtfalter und Schmetterling, Gewalt, Straftäter, Seesack, bäääääähm.



Nach fast 2 Stunden sind wir begeistert. Vereinzeln neigen sich auch die Kerzen auf den Tischen dem Ende entgegen. Der Wachs tropft auf den Tisch. Wie doch die Zeit verfliegt.

Am Ende wechseln wir noch ein paar Worte mit den anderen Gästen, bevor wir unsere Ritterrüstung überstreifen und uns wieder zurück in die Heimat des Raps machen, dem Hemshof, der düsteren Ecke in unserer düsteren Stadt.

Wir werden ehrlich sind. Mehr wollen wir nicht verraten. Wir wollen Eure Neugier wecken, das nächste Mal dabei zu sein, im Cinema Paradieso & Arte oder den „Lyricsm Unplugged“. Freuen wir uns auf eine Wiederholung an diesem oder einem anderen Ort. Es lohnt sich.

Für alle Interessierten und Menschen, die es doch nicht erwarten können. Unsere BewegungsMELDERin und das „WOW-Magazin“ in LU haben den ganzen Abend in eigene Worte gefasst, die wir hier natürlich gern verlinken. Ihr seid Super.

Wir freuen uns auf das nächste Mal. Danke an die Organisation.

In inhaltlicher Form gestalteten an diesem Abend die folgenden Personen:
Andreas Heinrich
Marco Wessling
Tobias Schirneck
Simeon Bonke Klein
Claude Schmidt (am Klavier während der Pause und am Ende)






Hinweise:
Wir leben in LU und wir lieben LU, mit allen Ecken und Kanten. Viele Aktionen von Aktiven und Bewohnern sind erwähnenswert, da sie unsere Stadt bereichern.

Hier sind unsere kleinen Kritikpunkte:
Wir fanden den Sonntagabend ein wenig ungeeignet. Arbeitsbedingt ist es für viele Bewohner schwierig, eine Sonntagabendveranstaltung zu besuchen. Natürlich gibt es an diesen Abenden weniger Aktionen in der Stadt. Für uns hat es trotzdem gepasst.
Bei der Auswahl Lasagne war in der vegetarischen Variante bei der Onlinebestellung der Karten nicht erkennbar, welcher Ersatz des Hackfleisches genutzt wird. Für Allergiker wäre dieses bei der vegetarischen Variante informell sinnvoll. Wir haben beide Varianten probiert und fanden diese wirklich lecker.

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