Wir sehen sie an jeder Ecke, die vielen Nestbaureste einer Spezies, welche in der Vergangenheit in Ludwigshafen zunehmen heimisch geworden ist. Sie nehmen die angenehmen Seiten unseren Zivilisation an, nutzen diese und lassen sie an den Orten zurück, wo sie gerade Lust haben.
Denn obwohl wir sie nur selten sehen, sind sie unter uns. Sie werfen ihren Haushaltsmüll in die Landschaft, positionieren sie auf Kinderspielplätzen, in vielen Hauseingängen und machen auch vor Natur- und Landschaftsschutzgebieten nicht halt.
Was läge also näher, uns auf die Suche nach unseren tierischen Mitbewohnern zu begeben, die nicht die Kraft haben, ihre Mülltüte bis zur eigenen Mülltonne zu tragen, welche die Entsorgung und Bezahlung lieber den anderen Ludwigshafenern aufdrückt oder einfach achtlos ihren Sch…. einfach in die Landschaft donnern müssen.
Vorbereiten müssen wir uns natürlich auch. Wir durchsuchen unsere vorhanden Tierlexika nach den Übertätern und schauen uns Tierreportagen bei N24 an. Zuerst vermuten wir die kleine „Pälzer Wutz“ als Übertäter, denken dann an den „Monnem-Skunk“, könnten uns vielleicht noch ein Elwetritsche auf Tollwut vorstellen, landen am Ende aber aufgrund des beobachteten Verhaltens bei einer Dreckfinken-Popupulation.
Also los. Gut getarnt machen wir uns auf den Weg.
Was für ein schöner Frühlingssamstag.
Wir schlendern eine breite Rad-/Fußwegkombination, vorbei an großen Bäumen und kürzlich beschnittenem Buschwerk. Die Vögel zwitschern, als wollen sie uns den Weg weisen, den Weg zu unseren Dreckfinken.
Wir schauen nach rechts, entdecken im weiten Rasenwerk 2 blechernden Flügeldrinkdosen, die zu uns rufen: „Nimm mich, sofort!“.
Wer kann einem solchen Ruf widerstehen? Wir können es nicht.
Und so nehmen wir diese beiden Kandidaten in unsere Obhut, werfen einen kurzen Blick auf den Inhalt und lesen in gebrochenem Britschbratsch: „Uchmöp häckwegzc“.
Vergeblich suchen wir nach dem „grünen Punkt“ auf Ihnen, damit ihr Weg in die gelben Tonnen führt oder dem Einweg-Zeichen für die Leergutsammelstelle im Megadiscounter.
Auch nix. Ja Ludwigshafen ist schon irgendwie anders. Mehrweg gibt es nur innerhalb des Einwegverbots der Stadtfeste und Supermärkte.
Doch was ist das?
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, keine 30m entfernt von uns, sehen wir Spuren des gemeinen Dreckfinken. Vor dem Dreiergespann der Altglas-Sammelcontainer sind sie eindeutig zu erkennen, die Spuren vom Nestbau der Drecksfinken.
Unterhalb eines Abfalleinwurfbehälters unserer „WBL-Götter in Orange“, der die treffende Aufschrift: „Ich nehm all deinen Mist, Kerl“ trägt, liegen sie, zwei weiße Tüten mit einer noch unbekannten Reviermarkierung.
Still, hier könnten wir sie entdecken, denn hier scheinen sie regelmäßig unterwegs zu sein. Wir verhalten uns leise und unauffällig. Wir können es nicht glauben, das hier in der Nähe, an dieser doch recht viel befahrenen Straße, der Drecksfink sein Zuhause zu haben scheint.
Und dann ist es soweit.
Ruhig, wir wollen ihn nicht vertreiben. Scheu schleicht sich ein männliches Exemplar aus der wollernden Straße in Richtung der berüchtigen Altglascontainer. Schwarz ist sein heutiges Federkleid, sportlich im Jogginglook könnte man meinen. Sein Kopf ist haarlos. Er scheint in der Mauser zu sein.
An seinem Körper trägt er seine Beute, einen dunkelgrauen Sack, der den blauen Engel aufgedruckt hat. Ah er scheint zu wissen, dass er unter Naturschutz steht. Seine Beute tarnt er gut. Zwei oder drei PET-Wasserflaschen liegen auf dem Beutezugsack. Kurz fragen wir uns, ob er vielleicht zur Lidl-Filiale in der Bruchwiesenstraße unterwegs sein könnte, um sich dort ein paar „Leckerlies“ abholen zu können.
Doch was ist das? Hat er uns entdeckt. Nervös greift er in seine Hosentasche und holt ein mobiles Kommunikationsgerät heraus. Whoooo. Er gibt Laute von sich. So modern hätten wir diese Spezies nicht eingeschätzt. Schnell hält er es an eines der Ohren und zirbt in einer dunklen Tonlage etwas hinein.
Just in diesem Moment, scheint er abgelenkt. Er lässt, nachdem er sich ein paarmal nervös umgedreht hat, seinen Beutesack fast ungebremst an den Mast eines dort befindlichen Verkehrszeichens auf den Boden gleiten.
Wieder schaut er wild um sich, nimmt seine Kommunikationseinheit, hält sie an das andere Ohr, bevor er ständig um sich schauend, den Ort verlässt.
Seinen Beutesack lässt er zurück. Bevor wir ein Foto von ihm schießen können, wir wollen ihn ja nicht aus seinem Lebensraum vertreiben, zieht er um den Beutesack erleichtert weiter in Richtung Bruchwiesenstraße.
Wir waren erfolgreich und haben einen Drecksfinken gesehen.
Kurz schauen wir uns um und gehen hin, zum Beutesack und zum bereits vorab abgelegten Nestbaumüll.
Wie mag so ein Dreckfink leben? Die Tüten verraten viel. Er scheint es gemütlich zu mögen. Die Tüten sind von einer deutschen Einrichtungskette. Sein Gefieder schmückt der Dreckfink bei einem Internet-Mode-Anbieter und Dreckfinken mögen anscheinend Tabak und Wasser.
Aber wir ziehen uns zurück, denn wir haben ihn gesehen und das macht uns glücklich. Lassen wir seinen Müll zurück, da der Dreckfink wahrscheinlich seinen Verlust bemerken wird und ihn sicherlich suchen wird.
Und im Notfall lässt er es eben jemand Anderen tun. Drecks Dreckfinken.